DIPLOMA-Dozent Prof. Dr. Carsten Rensinhoff hat im Magazin not (Heft 3/2025, Seite 51) eine Kolumne veröffentlicht.
Der Beitrag befasst sich mit der unglücklichen Gesetzgebung zur Beantragung eines Hilfsmittels für Menschen mit Behinderung. Das Problem ist die Durchführung der Verordnung durch spezielle medizinische Zentren, die
- es gerade in ländlichen Gebieten schwer machen, diese zu erreichen;
- die Wartezeiten auf einen Behandlungstermin bis zu 24 Monate dauern kann
Der vollständige Beitrag im Wortlaut:
"Mich ärgern gesetzliche Vorgaben, die Menschen mit Behinderung zum Nachteil gereichen. Aktuell sind es zwei Gesetze – und es wird mit Sicherheit noch mehr geben, deren Sinn ich anzweifle. Diese beiden Gesetze, die ich derzeit mit einer Petition beim Deutschen Bundestag bekämpfe, haben nicht die uneingeschränkte Teilhabe von Menschen mit Behinderung, die Inklusion also, zum Ziel.
Das erste Gesetz, das ich für eine Benachteiligung erachte, ist § 33 Absatz 5 SGB V: Hier wird in § 33 Absatz 5 Buchstabe b SGBV gefordert, dass die Notwendigkeit der Hilfsmittelversorgung für eine Person mit Behinderung durch den Medizinischen Dienst (MD) der Krankenkassen überprüft werden soll. Der MD, der den betroffenen Menschen mit Behinderung nicht kennt und nach Aktenlage urteilt, entscheidet somit blind über der Erforderlichkeit des Hilfsmittels. Der MD entscheidet über die Erforderlichkeit auch dann, wenn ein Facharzt die Dringlichkeit der Hilfsmittelversorgung verordnet hat. Die fachärztliche Verordnung erfolgte aufgrund der – oft jahrelangen – ambulanten Behandlung der betroffenen Person mit Behinderung. Letztgenannte Person ist in der Arztpraxis also bekannt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die ärztliche Verordnung ohne Kenntnis der Person und deren Behinderung, die das Hilfsmittel nötig macht, erfolgt.
Über diesen Umstand habe ich am 10. Januar 2025 den damaligen und auch heutigen Bundestagsabgeordneten Dr. Janosch Dahmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Kenntnis gesetzt. Dr. Dahmen ist selber Notfallmediziner. Er hat den Ball aufgegriffen und, noch im Januar 2025, zusammen mit der SPD und der FDP eine Gesetzesänderung in Gang gesetzt. Nach § 33 Absatz 5 Buchstabe c SGB V soll zukünftig auf die Stellungnahme des MD verzichtet werden, wenn für Kinder ein Hilfsmittel durch ein Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) beziehungsweise für Erwachsene dasselbe durch ein Medizinisches Zentrum für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) verordnet wird. Diese Gesetzesänderung, die in der vergangenen Legislaturperiode durch den Bundesrat gegangen ist, ist natürlich unüberlegt. Sie ist unüberlegt, weil die gesetzgebende Gewalt offenbar die Augen vor der Realität verschließt. Sie verschließt die Augen vor der Realität, weil es für Menschen mit Behinderung nicht so leicht ist einen Termin im SPZ oder MZEB zu ergattern. Nach der ersten Kontaktaufnahme beträgt die Wartezeit bis zum ersten Behandlungstermin, in dem die Verordnung für ein Hilfsmittel erfolgen kann, oft ein bis zwei Jahre. In dieser Zeit kann sich die Behinderung verschlechtern oder die Person mit Behinderung ist verstorben. Außerdem sind diese speziellen Behandlungszentren nicht an jeder Ecke zu finden. Zumindest im städtischen Gebiet ist diese Situation für das Erreichen von Haus- und Facharztpraxen günstiger. Dr. Dahmen sagte mir, nachdem ich die Erforderlichkeit der Behandlung im SPZ beziehungsweise MZEB für kontraproduktiv erklärt habe, dass diese Erforderlichkeit von der FDP gefordert wurde. Anderenfalls hätte die FDP dem Gesetz nicht zugestimmt. Ich weiß nicht, ob es tatsächlich so abgelaufen ist, nur hätte Dr. Dahmen – als medizinischer Fachmann – die Abgeordneten der FDP auf die lange Wartezeit bis zur Behandlung in diesen oben genannten Spezialzentren hinweisen können. Unter Umständen wäre das Ergebnis anders gewesen. Von meiner zweiten Petition berichte ich in der nächsten not!"
Prof. Dr. Carsten Rensinghoff erlitt im Alter von zwölf Jahren ein schweres Schädel-Hirntrauma mit spastischer Hemiparese links. Nach dem Abitur studierte er das Lehramt für Sonderpädagogik in Köln. 2004 wurde er vom Promotionsausschuss Dr. phil. der Universität Bremen promoviert. Von 2018 bis 2023 war er Berater in der EUTB in Stendal und Sangershausen. Seit dem 1. Juni 2023 ist er Hochschullehrer für Heilpädagogik und Inklusive Pädagogik an der DIPLOMA Hochschule.